Regelmäßige Verteilung von Kleidung und Schuhen in Damaskus

Seit Beginn unserer Tätigkeit im Jahr 2012 zählte auch die Verteilung von Kleidung und Schuhen zu den priorisierten Aufgaben, die wir bis 2017 wiederkehrend wahrnehmen durften. Denn die Familien flüchteten nur mit dem, was sie am leib trugen. Oder, wie damals eine der Frauen trotz ihrer Notsituation scherzend sagte: „Man denkt beim Flüchten nicht daran, etwas mitzunehmen. Man flüchtet.“

Am Anfang geschah das noch eher unstrukturiert und folgte dem Zufall. Unsere Helferinnen und Helfer hatten fast immer gesammelte Kleidungsstücke im Auto – man wusste ja nie, wem man begegnete der Hilfe benötigte! Schon bald brachten wir das in Formen und fingen an, Kleidung bei Freunden zu sammeln und sie nach Größen zu sortieren, bald danach begannen wir bei Second-Hand-Läden oder in Großmärkten einzukaufen und ein Lager anzulegen.

Schon 2013 planten wir saisonale Verteilungsaktionen, einmal im Winter, einmal im Sommer. Und zum Zuckerfest. Immer wurde es emotional, vor allem die Kinder konnten ihre ursprüngliche Freude über neue Kleidungsstücke oft nicht verbergen. Aber das sollten sie auch nicht: wir organisierten es vielmehr häufig so, dass es auch für sie ein Erlebnis war, ein eigenes Aussuchen und Anprobieren der Kleidungsstücke war uns wichtig. Tausende von Kleidungsstücken, angefangen bei Stramplern, Unterwäsche und Strümpfen über T-Shirts, Hosen, Pullover, Kleider und Hemden bis hin zu Jacken, Mützen und Schals fanden im Laufe der Jahre neue und stolze Besitzer. 2016 haben wir sogar selber en gros Decken und Winterjacken produziert, das aber ist eine andere Geschichte.

Auch eine ganz eigene Geschichte war die Ausgabe von schlussendlich 226 Gutscheinen für Wintermäntel an Frauen: dafür hatten wir mit dem Inhaber eines angesehenen Geschäftes eine Sondervereinbarung getroffen und luden die Frauen einzeln ein, sich selbst einen Wintermantel auszuwählen. Inklusive Anprobe. Eine von ihnen vermutete gar die „Versteckte Kamera“. Und bat uns, damit aufzuhören und sie bitte nicht hinters Licht zu führen. Sie glaubte schlichtweg nicht, dass der Mantel wirklich ihr gehören sollte!

Heute können wir dieses Projekt vor allem aus finanziellen Gründen nicht mehr fortführen.

Medizinische Versorgung von Binnenflüchtlingen

Auch wenn 2011 alles begann, richtig spürbar, auf breiter Ebene, wurde es 2012. Im Jahr 2012 brach für viele Syrerinnen und Syrer die Welt zusammen. Unter den vielen Menschen in den nicht enden wollenden innersyrischen Fluchtbewegungen waren natürlich auch viele Kranke, oft Verletzte als Folge von Querschlägern (so hatten wir in dieser Zeit eine Operationen zweier Zwillingsschwestern, die zusammen von einer einzigen solchen irrgeleiteten Kugel getroffen wurden), genauso oft aber auch ganz normale Krankheiten, die in jeder Zivilgesellschaft auftreten. Und all diese Kranke brauchten Hilfe!

Also nahmen wir uns ihnen an, so gut wir es konnten und in dem Maß, in dem wir finanziell in der Lage waren. Das aber war oft nicht verhandelbar, denn vor allem in den ersten Jahren war es oft eine Frage von Leben und Tod: oft standen die zu Behandelnden schon vor den Toren der Klinik als wir von ihrer Notlage erfuhren. Halfen wir ihnen, hieß das, sie durchschritten die Tore und wurden behandelt, operiert, geheilt. Halfen wir ihnen nicht, hieß es, sie konnten nicht ins Krankenhaus, erfuhren keine Behandlung, konnten sterben. Keine leichte Entscheidung. Überhaupt keine leichte Entscheidung!

Wir haben eigentlich nie „Nein“ gesagt in diesen Jahren. Die Not war zu groß! Oft waren wir sogar persönlich bei den Patienten, gingen mit ihnen zum Arzt, haben ihren Heilungsprozess gesehen und haben manche in den Tod begleitet. So beispielsweise bei manchem chronisch Kranken, der sich die Therapie mit teuren Medikamenten nicht leisten konnte. Nicht bei jedem schlug diese Therapie an. War es dann falsch, das Geld ausgegeben zu haben für teure Medikamente, wenn der Patient doch verstarb?

Besonders schwierig war es mit den Schwangeren – kaum waren sie aus den Kampfgebieten raus setzten die Wehen ein, urplötzlich. Als ob ihr Körper sich vorher gegen die Geburt gestemmt hatte und das Neugeborene erst freigeben wollte, wenn sie in Sicherheit waren. Auch Herzinfarkte, Krebskranke und Frühgeburten waren unter den Fällen; Hunderte Geburten haben wir bezahlt, Kosten für Prothesen, Intensivstation, Brutkästen, Zahnbehandlungen, Operationen, uvm. bis zu Hörgeräten oder Brillen haben wir übernommen.

Ab 2016 mussten wir beginnen, diese Ausgaben zu reduzieren: die Kosten explodierten, viele Medikamente waren nicht verfügbar, manche Krankheiten waren einfach nicht mehr zu heilen. Und doch lebt auch dieses Projekt weiter, auch heute noch tragen wir Kosten für vielfache medizinische Betreuung, begleiten Kranke zum Arzt und helfen wo wir können.

Ein eindringliches Erlebnis (unter vielen eindringlichen Erlebnissen) in diesem seit 2012 bestehendem Projekt hatten wir vor einigen Wochen. Eine Mutter hatte sich bei uns gemeldet und ein Foto geschickt von ihrer 5jährigen Tochter. Das Mädchen hatte an diesem Tag Geburtstag: Vor 5 Jahren wurde es im Säuglingsalter am Herzen operiert, ohne diese OP wäre es gestorben. Obwohl diese Operation teuer war und es uns damals nicht leicht fiel das zu bezahlen hatten wir die Kosten übernommen.

In Momenten wie diesen wird alles andere unwichtig. Und man weiß genau: Es war gut, „Ja“ zu sagen!

Aufbau und Betrieb einer Geflügelzucht– Eier und Fleisch für Selbstversorger und Arbeitsplätze

In Zeiten von Belagerungen, Kämpfen und Bombardements wurde die Selbstversorgung immer wichtiger. Abgesehen davon, dass eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln immer seltener wurde so konnte auch die Suche nach ihnen tödlich enden. Irgendwo war immer Krieg.

Also begannen wir mit mehreren Selbstversorgungs-Projekten, eines davon war der Aufbau einer veritablen Geflügelzucht im Frühjahr 2014. Angefangen haben wir mit dem Ankauf von Küken um die großzuziehen und dann, ausgewachsen und Eier legend, an Familien auszugeben zur Selbstversorgung mit Eiern und evtl. auch Fleisch. Bald darauf aber wuchs das Projekt, wir stellten Arbeiter ein (die dadurch auch in Lohn und Brot kamen), beschafften eine Tonne Hühnerfutter (und waren damit unabhängig von beschaffungsdruck und Frontverläufen) und wurden zu richtigen Geflügelzüchtern.

Je nach Notlage der Familien verschenkten wir Eier und Fleisch oder verkauften es zum Selbstkostenpreis, ebenso verkauften oder verschenkten wir die ausgewachsenen Hühner wodurch viele Familien selbst zu Selbstversorgern werden konnten. Vor allem für die damals schon mangelernährten Kinder war die Versorgung mit Eiweiß extrem wertvoll.

Aber auch die Arbeit an diesem Projekt war äußerst wertvoll. Manche unserer Helferinnen und Helfer fanden einen neuen Sinn im Leben, erwachten aus der Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit. Fanden Kraft darin, sich selbst und anderen zu helfen. Ähnlich erging es denen, die diese Hilfe erhielten. Sie merkten, sie waren nicht allein in ihrer Hilflosigkeit.

Diese Erfahrung haben wir mit so vielen unserer Projekte gemacht – humanitäre Hilfe für Syrien ist so viel mehr als „nur“ das Schaffen von Projekten um Menschen in häufig extremen Notsituationen beizustehen. Oftmals erzielten wir die größte Nachhaltigkeit durch unsere eigene Art der Herangehensweise, durch Einbinden aller, durch Schaffen von Kreisläufen. Auch durch Hilfe mit Anstand und Würde. Mit großem Respekt vor denen in Not. Und vor denen, die diese tägliche Arbeit in den Projekten mit viel Herz und Engagement ausführen.

Irgendwann 2016 mussten wir dieses Projekt aufgeben, verteilten aber alle Brutkästen, Hühner, Küken und manches mehr an die Familien in der Umgebung. Und glauben fest daran, dass noch heute manche Erben dieser Hühner Eier legen!

Idlib / Nordwestsyrien | Winter. Kälte. Regen.

Alle Jahre wieder kommt die Regenzeit. Dann schwellen unscheinbare Gräben an zu reißenden Fluten und nehmen alles mit was sich ihnen in den Weg stellt. Das hört sich nur scheinbar übertrieben an, denn es war traurige Realität in den letzten Jahren. und wird auch dieses Jahr wieder so sein, denn die Böden sind nicht gemacht um viel Wasser aufzunehmen, gleichzeitig gibt es kaum freie Flächen – die Zelte stehen einfach überall!

Bereits jetzt sind über 20 Lager betroffen, mehrere hundert Familien mussten schon ihr Zelt verlassen oder haben es sogar ganz verloren. Doch das ist erst der Anfang, die eigentlichen Regenfälle werden noch erwartet.

Auch ist das Verlangen nach Wärme, und sei es nur, um die Kleider zu trocknen, nicht immer im Klammen sitzen zu müssen, ein stetiger Begleiter der unzähligen Binnenflüchtlinge in den Lagern. Und Kleidung, warme Decken, Heizmaterial, Öfen, Hygieneartikel. Es mangelt ihnen an allem, wirklich allem!

Um sich irgendwie zu wärmen verbrennen die Menschen mangels richtigem Brennmaterial wie Öl, Berien oder Holz in ihrer Not völlig kaputte Schuhe oder andere Abfälle. Und sitzen im Zelt inmitten des giftigen Qualms. Einigermaßen warm. Dafür aber mit Atembeschwerden und erheblichen Langzeitfolgen, vor allem bei den Heranwachsenden.

Wie in den Jahren zuvor wollen wir auch dieses Mal helfen. Wollen Öfen und Berien (regional typisches und gut verfügbares Brennmittel: die Reste der zu Olivenöl verarbeiteten Oliven werden zu einer Art Brikett geformt und getrocknet), warme Decken und andere Dinge beschaffen und an Bedürftige verteilen.

Soviel wir nur können!

Verteilung warmer Mahlzeiten in den Flüchtlingslagern Nordwestsyriens / Region Idlib (2017 bis März 2021)

Neun von Zehn Syrerinnen und Syrer leben unterhalb der Armutsgrenze. Unterhalb der syrischen Armutsgrenze. Und deutlich über 12 Millionen Menschen (12.4 Millionen laut einer OCHA-Mitteilung von Ende Februar 2021) innerhalb Syriens leiden an Hunger, Mangelernährung und sind auf „Nahrungsmittelhilfe“ angewiesen. Unvorstellbare Zahlen, schon beim Lesen. Das tägliche Leben inmitten dieser Not ist noch unvorstellbarer. Und doch erleben wir es ständig.

Besonders hart trifft es die Region Nordwestsyrien, in der etwa 4 Millionen Menschen leben; 2.7 Millionen von ihnen sind sogenannte Binnenflüchtlinge. Oftmals mehrfach Vertriebene, die in einfachsten Behausungen ihr Dasein fristen – etwa 1.5 Millionen sogar in trostlosen Zelten, unter Planen, meist auf offenem Boden. Den Jahreszeiten ausgesetzt, in ihrer Armut gefangen, ständig auf der Suche nach Essbarem, Kleidung, Wasser und so vielem mehr.

Genau dort ist auch ein Teil unseres Teams gelandet, im Herbst 2016. Ebenfalls binnenvertrieben wussten sie woran es mangelt, hatten aber viele Jahre Erfahrung gesammelt beim Aufbau und Betrieb von Hilfsprojekten. Und wussten, sie sind nicht allein. Weil wir wussten, wir sind nicht allein: wir haben hier Menschen, die uns unterstützen in unseren Bemühungen, den Menschen dort zu helfen! Dieses Wissen um Rückhalt hat uns stets geholfen und hilft uns immer noch, scheinbar aussichtslose Situationen zu meistern, das Licht am Horizont zu sehen und uns den anstehenden Aufgaben mit allen zur Verfügung stehenden Kräften entgegen zu treten. Das Wort „Danke“ ist dafür nicht genug!

Also begannen wir – neben vielen anderen Projekten – auch hier die Bedarfe zu ermitteln und erkannten die Not nach Nahrung, die schon damals für die vielen Neuankömmlinge mit das Wichtigste war: denn neben der Armut, die verhinderte das sich die Lagerbewohner ausreichend mit Essen versorgen konnten, fehlte es schlichtweg vielen an Kochgelegenheiten. Kaum jemand hatte einen Ofen oder eine Kochstelle zur Verfügung! Ganz zu schweigen von Kochgeschirr oder ausreichend Brennmaterial.

Anfang 2017 bauten wir also erst einige, später dann insgesamt zehn Garküchen auf. Reanimierten eine stillgelegte Bäckerei. Und brachten bis März 2021 seither fertig gekochte, in Mehrweggeschirr portionierte warme Mahlzeiten inkl. Brot in die entlegensten Winkel Nordwestsyriens, dorthin wo niemand sonst Hilfe hinbringt (wobei sowieso kaum internationale Hilfe sichtbar ist in dieser fast vergessenen Region! Gemäß offiziellen Angaben sind wir aktuell sogar nur eine von zwei Organisationen, die überhaupt warme Mahlzeiten in diesen Lagern verteilt). Vor Corona durch Sammelausgabe an zentralen Stellen des Lagers, seit Corona durch einen viel intensiveren Bringdienst bis an die „Tür“ der Zelte und Behausungen. Und so haben über 1.000.000 Menschen eine warme Mahlzeit von uns erhalten.

Auch diese Zahl ist unvorstellbar. Aber sie macht uns weit glücklicher als die oben genannten Zahlen!

Unterbringung innersyrischer Flüchtlingsfamilien in Damaskus (seit 2012)

Die innersyrisch geflüchteten Familien, die ab etwa 2012 von einem Tag auf den anderen plötzlich auf der Straße saßen, brauchten nicht nur etwas zu essen, sie brauchten auch ein Dach über dem Kopf. Denn sie hatten alles verloren, kamen aus einer ganz anderen Stadt wie Homs oder fremden Vierteln und waren völlig orientierungslos. Saßen auf der Straße und warteten auf ihr Schicksal.

Also haben wir zunächst versucht, die Familien in öffentlichen Einrichtungen wie in der Moschee oder der Schule unterzubringen und brachten sie privat unter. Das war die Lösung für die ersten Tage. Dann haben wir angefangen, Wohnungen zu mieten; anfänglich waren es bis zu 30 Menschen die in einer Wohnung untergebracht waren! Viel, ja, aber sie hatten ein Dach über dem Kopf!

Etwa Mitte des Jahres 2012 hatten wir dann stolze 30 Wohnungen angemietet, Ende des Jahres sogar über 60. Im April 2014 waren es exakt 103 Familien, später in diesem Jahr schon fast 150, dann 2015 sogar annähernd 200. Aktuell (Dezember 2020) sind es genau 173 Familien, denen wir uns annehmen, für die wir uns verantwortlich fühlen, für und um die wir uns sorgen – oftmals Witwen mit ihren Kindern und Großeltern, alleinstehende Alte oder bunt zusammen gewürfelte „Mehrgenerationen-Wohngemeinschaften“.

Bald waren keine Wohnungen mehr frei und wir begannen, unfertige Wohnungen anzumieten, was immer mit sehr viel Arbeit verbunden war, denn sie waren nicht nur unfertig (oft ohne Fenster, Strom und Wasser) sondern auch ohne jede Wohnungseinrichtung! Immer fanden wir einen Weg und freuten uns jedes Mal, wenn wir wieder einer Familie eine Unterkunft besorgt hatten. In all den Sorgen, all den Mühen gab es immer auch unvergessliche Momente; so beispielsweise, wenn wir eine passende Wohnung fanden, sie mieten wollten und der Vermieter sich erkundigte, für wen die Wohnung sei. Dann erfuhr, dass sie für Binnenflüchtlinge ist und antwortete: „Ihr braucht keine Miete zu zahlen, sie können erst einmal so bleiben!“.

Das kann sich heute keiner der Vermieter mehr leisten, schon 2015 fingen die Mieten an, langsam zu steigen – letztlich sind alle von der Situation betroffen! Und doch können wir es nicht riskieren, aufzuhören, denn es hätte zwangsläufig zur Folge, dass diese Familien wieder auf der Straße landen würden. Die Unterbringung von innersyrischen Flüchtlingsfamilien ist wie die Verteilung von Lebensmittelpaketen eines unserer Projekte „der ersten Stunde“ und hat seit 2012 ohne Unterbrechung Bestand!

Schule in Beirut – Bildung für syrische Flüchtlingskinder von der Vorschule bis zur 9. Klasse

Durch die Arbeit in der Schneiderei und die Herstellung von Schuluniformen und Jacken für eine Schule, in der syrische Flüchtlingskinder unterrichtet wurde, kamen wir immer enger mit dieser Schule in Kontakt. Und schließlich zu unserem ersten und einzigen Projekt, das wir nicht selbst aufgebaut hatten und in dem wir „nur“ Partner sind – aber tragender Partner!

Schon 2013 hatte eine in den Libanon geflüchtete syrische Lehrerin mit hohem persönlichem Einsatz und sehr großem Herz die Idee, syrischen Kindern Bildung zu vermitteln. Sie suchte und fand Finanzierung in der Verwandtschaft, bei Freunden und einigen Großspendern und stand schon 2014 einer Schule für etwa 250 syrischen Schülerinnen und Schülern vor! Der Bedarf aber und ihr Potential war größer als das und so bat sie uns ihr in ihren Bemühungen zu helfen. Nach eingehender Prüfung und intensiven Projektbesuchen entschlossen wir uns Ende 2016 sie zu unterstützen und haben das seither weder bereut noch unterbrochen. So gelang es, schon bald die Schülerschaft nahezu zu verdoppeln und in zwei Gebäuden Unterricht von der Vorschule bis zur neunten Klasse anzubieten.

Das Schuljahr 2018 / 2019 ist ein gutes Beispiel um zu verdeutlichen was das bedeutet: in insgesamt 19 Klassen wurden Kinder in zwei Vorschulstufen und neun Klassenstufen (1. bis 9.) unterrichtet, die Klassengröße war dabei meist über 30 Schülerinnen und Schüler. 25 Lehrerinnen und Lehrer und 6 administrative Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgten das ganze Schuljahr über für einen reibungslosen Ablauf. Zusätzlich wurde im Sommer ein Sommercamp für unterschiedliche Klassenstufen durchgeführt an dem etwa 100 Kinder teilgenommen haben, ebenso Ausflüge und Kurse angeboten.

„Nebenher“ wurden ein Chemielabor, eine Bibliothek und ein Computerraum eingerichtet, 10 Toiletten gebaut, ein Empfangsraum hergerichtet und für die Verwaltung Drucker und Computer beschafft. Außerdem, als emotionaler Höhepunkt, unterschiedlichste Geräte angeschafft um einen Spielplatz einzurichten.

Im darauffolgenden Schuljahr konnten wir die Anzahl der Schülerinnen und Schüler sogar auf 571 erhöhen und kämpfen doch seither mit den Auswirkungen der Explosion im Beiruter Hafen und den Corona-Bestimmungen. Digitalunterricht findet kaum statt, es fehlt vor allem an Endgeräten um überhaupt digitalen Unterricht vermitteln zu können. Wir finden viele alternativen Möglichkeiten, die wirtschaftliche Situation führt jedoch leider verstärkt dazu, dass Eltern ihre Kinder vom Unterricht abmelden. Sie werden gebraucht, um zu arbeiten. Um der Familie beim Überleben zu helfen. Dagegen kämpfen wir nach Kräften an, doch zu oft gehen uns leider angesichts grassierender Armut die Argumente aus…

Mikrokredite – Hilfe zur Selbsthilfe

Viele der hier beschriebenen Projekte sind seit vielen Jahren Fundamente unserer Arbeit. Dieses Projekt hingegen ist kein Fundament; eher ein kleines Zimmer mit Fenster in einem der oberen Geschosse – und auch wenn dieses Zimmer etwas abseits liegt und selten belegt ist, so ist sein Wert keineswegs gering.

Denn natürlich ist Hilfe zur Selbsthilfe ein ganz wesentlicher Ansatz unserer Arbeit, in Zeiten grassierender Arbeitslosigkeit, Armut, Obdachlosigkeit aufgrund vielfacher Flucht jedoch ist das leichter gesagt als getan. Wir versuchen dennoch seit Anbeginn Nothilfe, humanitäre Hilfe, Bildungsarbeit und Entwicklungshilfe zu vereinbaren; ein kleines Beispiel ist die Gewährung von Mikrokrediten:

Innerhalb der von uns betreuten Familien gibt es immer wieder Frauen, junge Erwachsene oder Kriegsversehrte, die mit Ideen auf uns zukommen um ein eigenes Einkommen zu erzielen. Hierzulande würde man das schmissig „Start-Up“ nennen. Und das ist es auch: wir helfen ihnen zu starten, aufzustehen und auf eigenen Beinen voran zu kommen. Manchmal sind diese Mikrokredite tatsächlich Geldbeträge, die ausgehändigt werden um bspw. Anschaffungen für den Beginn zu finanzieren. Wir begleiten dabei und versuchen zu helfen, auch mit Rat und Tat. Diese Möglichkeit realisieren wir bis heute, meist gelingen diese „Start-Ups“ und ermöglichen den „Gründern“ ein besseres, selbstbestimmteres Leben.

Vor allem 2013 und 2014 hatten wir auch noch eine andere Möglichkeit gefunden, die dann ein „Weiterfliehen“ der Protagonisten zum Erliegen kam: wir haben einigen Familien dabei geholfen, kleine Straßenstände einzurichten. Vor allem ging es dabei um Hygieneartikel und Dinge des täglichen Bedarfs. Wir kauften dabei die Waren in großen Mengen ein (erhielten dadurch Rabatte) und gaben die Waren zu diesem Preis an die Verkaufsstände. Diese verkauften sie zum normalen Preis, die Differenz war ihr Gewinn – keiner wurde dabei „übers Ohren gehauen“, auch nicht die Käufer. Und allen war geholfen!

Anbau und Verteilung von Gemüse, Kräutern und Pflanzkisten – Hilfe zur Selbsthilfe

Auch dieses Projekt folgt einem unserer Grundsätze: den Menschen in Not die Möglichkeit der Selbstversorgung zu geben, Autarkie zu ermöglichen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Und irgendwie ist es bei solchen Projekten dann immer so, dass sie auch nach innen wirken. Wir alle, auch alle Helferinnen und Helfern profitieren auch von der gelungenen Umsetzung, denn wir sehen, was wir bewirken können, wenn wir gemeinsam eine Sache angehen, schöpfen daraus neue Freude und Zielsetzungen und zehren noch lange von den Erinnerungen an all die Folgen unserer Arbeit.

Diese Projekte sind oft kräftezehrend. Im Rückblick aber immer Kräfte-Spender!

Diese von uns nur „Pflanzen-Projekt“ genannte Hilfe zur Selbsthilfe sollte ebenfalls den Mangel an Lebensmitteln beseitigen und zugleich die Gefahren bei der Beschaffung des „täglichen Brots“ reduzieren. Es war im Frühjahr 2014, als wir damit begannen, aus Samen und Setzlingen Gemüsepflanzen, Obststräucher und Kräuter zu ziehen. Ziel war es, zum einen diese Pflanzen zu verkaufen und das Projekt zumindest teilweise finanziell zu tragen, vor allem aber und vorrangig ging es darum, den Menschen die Möglichkeit zu geben, frisches, vitaminreiches Obst und Gemüse zu erhalten um der Mangelernährung entgegen zu treten. Dazu schufen wir Arbeitsplätze, ein nicht zu unterschätzender Wert angesichts grassierender Erwerbslosigkeit mit allen bekannten Folgen!

Mit schwerem Gerät wurde damals Erde gesiebt, mit Dünger und Humus versetzt und in Pflanzkisten gefüllt. Im Anschluss pflanzten wir darin Setzlinge oder säten Samen aus, wässerten und pflegten die Pflanzen bis zu einer gewissen Größe und brachten diese Pflanzkisten dann zu den Familien, immer ein Sortiment unterschiedlicher Kräuter und Gemüsesorten. Die Familien, die Gärten hatten, bekamen direkt die Setzlinge und Sämereien. All das wiederholten wir im Jahreszyklus. Sämtliche Empfänger wurden währenddessen immer wieder betreut, bei Bedarf im Umgang mit den Pflanzen geschult und beraten. Schlussendlich konnten wir so mehr als 40.000 Pflanzkisten verteilen!

Gegen Ende des Projektes im Jahr 2016 hatten wir sogar an mehreren Stellen eigene Gärten angelegt um Bedürftigen die Möglichkeit zu geben, sich an den Früchten dieser Gärten zu bedienen. Sie kamen so, als ob sie auf einen Markt gingen. Wurden bei der Auswahl begleitet und beraten, es wurden Kochrezepte ausgetauscht. „Hamsterkäufe“ waren selbstverständlich verpönt, denn jeder Einzelne achtete zurückhaltend darauf, dass möglichst viele von den Erträgen dieser Pflanzen profitieren konnte.

Bei diesen Projekten kommt es zu vielfältigen Begegnungen und Erlebnissen, dieses ist uns unvergessen: Es muss im Jahr 2015 gewesen sein, als einer unserer Helfer wieder einmal seine Tour machte um die zu besuchen, die Pflanzen erhalten hatten. Dabei wollte er auch Fotos machen für unsere interne Dokumentation und fragte natürlich vorher die neuen Eigentümer der Pflanzen um Erlaubnis. Einer von ihnen, ein alter Mann, fragte ihn nach dem Grund der Fotos und unser Helfer berichtete von unserer Arbeit und sagte zu ihm: „Um zu zeigen, dass Syrien noch lebt“.

Der alte Mann schwieg kurz und bat ihn Folgendes auszurichten: „Sag ihnen, dass dies Fotos aus Syrien sind. Syrien wird auf keinen Fall sterben! Syrien hat so viele schwere Zeiten erlebt in seiner Geschichte, lebt immer noch und wird immer weiterleben!“. Unser Helfer bedankte sich und antwortete: „Danke, Du hast mir Hoffnung gegeben.“ Da lachte der alte Mann und erwiderte: „Wir geben Hoffnung, Ihr schenkt uns Leben.“

Lernzentrum für syrische Kinder in Bursa / Türkei

Dieses Projekt könnte viele Namen haben, der gewählte ist jedoch der, der unsere heutige Tätigkeit am besten umschreibt: Anfang 2014 waren wir entschlossen, ein Projekt für syrische Flüchtlinge aufzubauen, die in Istanbul gestrandet waren. Damals waren es offiziell circa 650.000 Syrerinnen und Syrer, die in der Türkei Zuflucht gefunden hatten, sicher ein Drittel von ihnen in Istanbul. 

Die ursprüngliche Idee einer Begegnungsstätte mit Lern- und Rückzugsräumen für Kinder, Werkstätten und psychotherapeutischer Arbeit wich im Laufe der Zeit einer punktuellen Unterstützung geflüchteter Familien mit Dingen des täglichen Bedarfs und Hilfestellungen und Beratung bei alltäglichen Problemen. In Istanbul Fuß zu fassen war schwer, internationale Organisationen taten sich schwer ihre Hände auszustrecken, ein eigenes Netzwerk mussten wir uns erst mühsam aufbauen. Nach und nach aber wurzelten wir, erhielten im Sommer Besuch von Willi Weitzel (der „Willi wills wissen“ – Willi), durften in 2014 (in Istanbul) und noch einmal 2016 (da schon in Bursa) für einige Mitglieder der deutschen „Clowns ohne Grenzen“ eine „Lachreise“ für Geflüchtete organisieren und entschlossen uns irgendwann, über das Marmarameer nach Bursa umzusiedeln. In Istanbul selbst gelang es uns später ein weiteres Projekt aufbauen, das aber ist eine andere Geschichte.

In Bursa hatten wir günstig Räumlichkeiten anmieten können, bauten diese nach und nach um und verwandelten mit ihnen auch das Projekt. Von einer anfänglichen Begegnungsstätte mit vielfältigen Angeboten für syrische Flüchtlinge von jung bis alt spaltete sich ein eigenes Projekt ab (von dem wir später berichten werden) und es entstand ein Lern- und Nachhilfezentrum für syrische Kinder inkl. einer eigenen Fußballmannschaft! Betreut wird es von einem Lehrer aus Homs, mit dem wir schon in Syrien lange Jahre zusammengearbeitet hatten und von seiner Frau, die auch als Trauma-Therapeutin arbeitet. Sie legen großen Wert auf spielerisch vermittelte Umgangsformen und achten stets auf Integration und geben den Kindern so auch Halt in einer für sie neuen Gesellschaft. Gleichzeitig lehren sie neben allen anderen an das türkische Schulprogramm angelehnten Lernangeboten und vielfältigen Spiel- und Bastelangeboten auch die arabische Sprache, wozu auch Kinder zugelassen sind die nicht permanent im Zentrum lernen. Hier erfahren sie einen großen Zulauf, denn die geflüchteten Eltern machen sich natürlich Gedanken über die Sprache ihrer Kinder und haben Angst, dass sie mit einer Integration in die türkische Gesellschaft und dem damit einhergehenden schleichenden Verlust der Muttersprache auch die Bindung zu Syrien verlieren.

Die Aktualität und Wichtigkeit dieses 2014 begonnenen Projektes ist ungebrochen – mittlerweile leben in der Türkei nach offiziellen Angaben über 3.6 Millionen syrische Flüchtlinge!